Gilles Leloup aus Nizza und weitere Forscher aus Frankreich setzten sich mit der Problematik auseinander, dass die meisten Maßnahmen in der LRS-Therapie wohl zu einer Verbesserung der Lesegenauigkeit führen, die Lesegeschwindigkeit sich jedoch nur geringfügig verbessert. Die Ursache hierfür sehen sie darin, dass in der Therapie die Verbesserung des Orthografischen Lexikons vernachlässigt wird. Im Orthografischen Lexikon werden die Wortbilder gespeichert.
Eine Maßnahme, um sich ganze Wörter einzuprägen, ist das wiederholte Lesen von Texten. Diese Methode versuchte das Forscherteam umzusetzen und entwickelte die Therapiemethode „repeated reading with vocal music masking“ (RVM). Bei dieser Technik sollen Texte wiederholt gelesen werden, während die Kinder gleichzeitig über Kopfhörer aktuelle Popmusik hören. Dadurch soll die phonologische Schleife in einem Ausmaß beansprucht werden, sodass diese für das dekodierende Lesen nicht mehr verwendet werden kann. Die Kinder können also nicht mehr bzw. bedeutend schlechter auf das buchstabierende Lesen zurückgreifen, sondern werden gezwungen, die Wörter als Ganzes zu erfassen.
Leloup et al. überprüften die RVM-Technik in zwei Studien. In einer ersten Studie nahmen 66 Kinder mit Legasthenie und einem Durchschnittsalter von 10 Jahren teil und wurden auf eine Trainingsgruppe oder eine Kontrollgruppe aufgeteilt. Das Training dauerte fünf Wochen und an jeweils sechs Tagen wurde für 15 Minuten trainiert. Die Kinder lasen jede Woche zwei Texte, die sie dann an den sechs Trainingstagen wiederholten. In der Folgewoche erhielten sie neue Texte.
Während die Schüler lasen, hörten sie über einen Kopfhörer Musik. Die Kinder in der Kontrollgruppe führten ebenfalls das wiederholte Lesen durch, es entfiel jedoch die auditive Maskierung mit Hilfe der Musik. Im Vergleich zur Ersttestung zeigte sich nach dem Training nur bei der Experimentalgruppe eine statistisch signifikante Verbesserung im Lesen. Hier stieg der Wert von knapp über 100 auf 124, während bei der Kontrollgruppe nur ein Anstieg von 108 auf 112 zu verzeichnen war. Diese Werte wurden aus einer Grafik abgelesen, da sie im Text nicht genannt wurden.
In einer weiteren Studie mit 54 Kindern wurde zuerst über einen Zeitraum von acht Wochen eine normale LRS-Therapie durchgeführt, der sich ein fünfwöchiges RVM-Training anschloss. Danach wurde die normale Therapie noch einmal über drei Wochen weitergeführt. Zu vier Testzeitpunkten wurden Daten erhoben. Hier zeigte sich in den ersten acht Wochen in einem Lesetest eine Verbesserung von 126 auf 148 und nach dem RVM-Training ein Wert von 197. Im letzten Trainingsabschnitt zeigte sich keine weitere Veränderung. Die Verbesserungen in den beiden Trainingsperioden wurden statistisch signifikant.
Leloup et al konnten in ihrer Studie deutliche Hinweise dafür liefern, dass das wiederholte Lesen in der Kombination mit einer musikalischen Maskierung einem normalen LRS Training deutlich überlegen ist.
Leloup, G., Anders, R., Charlet, V., Eula-Fantozzi, B., et al. (2021). Improving reading skills in children with dyslexia: efficacy studies on a newly proposed remedial întervention – repeated reading with vocal music masking. Annals of Dyslexia, 71, 60-83.