Rezension von Band 1 einer neuen Fachbuchreihe über Legasthenie

Von den Diplompsychologen Hemma Häfele und Hartmut Häfele ist seit einigen Monaten ein Grundlagenbuch zur Legasthenie mit dem Schwerpunkt Symptomatik, Diagnostik und Ätiologie erschienen. Es ist der erste Band der Buchreihe „Bessere Schulerfolge für legasthene und lernschwache Schülerinnen durch Förderung der Sprachfertigkeiten“, die in den nächsten Monaten sukzessive fortgesetzt werden soll. Der vorliegende Band trägt den Titel „Informationen zu Theorie und Diagnose für Therapeutinnen, Lehrerinnen und Eltern“, umfasst 328 Seiten und ist bei BOD erschienen.

Das Buch ist in insgesamt acht große Kapitel unterteilt. Kapitel eins ist mit der exakten wissenschaftlichen Bezeichnung „Die Leserechtschreibstörung“ überschrieben und informiert über das Störungsbild, gemäß ICD-10. Dabei ist das Kapitel ? wie auch die anderen Kapitel des Buches ? sehr praxisorientiert aufbereitet und erweitert das „aktuelle Standardwissen“ durch zahlreiche Erfahrungen und Anmerkungen der Autoren. Sehr gut. Hinweise zu Schwierigkeiten der sprachlichen Verarbeitung der Kinder mit Legasthenie und die psychische Begleitsymptomatik der Kinder ergänzen das Kapitel.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Schriftspracherwerb. Hier findet sich u.a. das Stufenmodell nach Uta Frith. Weiterhin gehen die Autoren, was regelmäßig in anderer Literatur vernachlässigt wird, auf Theoriemodelle des Lesens ein. In Kapitel drei beschäftigen sich Häfele und Häfele mit den Grundvoraussetzungen des Lese- und Rechtschreiberwerbs. Themen wie phonologische Bewusstheit und sprachliches Arbeitsgedächtnis werden hier recht genau behandelt.

Das Folgekapitel ist mit „Die sprachrhythmische Nutzung der Wort-Segmente Silbe, Morphem und Laut“ überschrieben und arbeitet deren Bedeutung für den Lese- und Rechtschreiberwerb heraus. Auch auf die therapeutischen Techniken „Pilotsprache“ und „Silbenschwingen“ wird (kritisch) eingegangen. Das Arbeiten mit Morphemen wird für ältere Schüler dagegen als sinnvoll angesehen. Insgesamt plädieren Häfele und Häfele (im Erstleseunterricht und Therapie) für eine intensivere Beschäftigung mit Silben anstatt mit einzelnen Buchstaben.
Das fünfte Kapitel mit dem Titel „Der Lese-Rechtschreibstörung zugrunde liegende Störungen“ ist mit 58 Seiten das umfangreichste Kapitel dieses Buches. Hier werden die unterschiedlichen ätiologischen Faktoren wie Störungen der zentralen Zeitverarbeitung, der zentral auditiven Wahrnehmung, der phonologischen Informationsverarbeitung und der visuellen Verarbeitungsstörung vorgestellt. Das sechste Kapitel widmet sich der Symptomatik. Die typischen Fehlerbereiche im Lesen- und Schreiben werden hier anschaulich beschrieben, weitere Details fehlen jedoch.

Das folgende Diagnostikkapitel ist ausführlich und bietet neben einer Auflistung zahlreicher Testbeschreibungen auch viele Informationen über den diagnostischen Prozess. Zusätzlich befindet sich im Anhang ein sehr differenzierter Lehrerfragebogen. Zahlreiche Praxisbeispiele ergänzen das gelungene Kapitel.

Das Layout des Buches wurde mit zahlreichen Infokästen, Zitaten und Abbildungen aufgelockert. Der Sprachstil ist gut verständlich. Die Hauptunterteilung der Kapitel in Buchstaben jedoch etwas gewöhnungsbedürftig, jedoch nicht weiter störend.
Die Besonderheit des Buches ist die Verknüpfung verschiedener Herangehensweisen: Einerseits wird der aktuelle wissenschaftliche Wissensstand zur Legasthenie dargestellt, auf der anderen Seite teilen die Autoren ihre eigene therapeutische Arbeitsweise und ihre Praxiserfahrung (soweit wie in einem Theorie- und Diagnostik-Band möglich) dem Leser mit.

Anfänger im Bereich der LRS-Therapie werden eventuell durch die Vielfalt der Methoden, Auszügen von Studien und kritischen Anmerkungen zu „bewährten“ Techniken (z.B. Pilotsprache) eventuell etwas verwirrt sein. Diese Gruppe profitiert von diesem Buch, wenn beispielsweise bestimmte Begriffe nachgeschlagen werden müssen und wenn man praxisorientierte Hinweise zu einem bestimmten Thema sucht. Der schon etwas erfahrenere Therapeut findet hier jedoch ein sehr gutes inhaltsreiches „Therapiehandbuch“ mit zahlreichen Hinweisen zur Sprachverarbeitung, die nicht unbedingt jedem bekannt sein dürften.

Fazit: Ein sehr gutes praxisorientiertes Grundlagenbuch zum Thema Legasthenie für Therapeuten, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist.

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Quelle:
Hemma Häfele & Hartmut Häfele (2009). Bessere Schulerfolge für legasthene und lernschwache Schülerinnen durch Förderung der Sprachfertigkeiten. Band 1: Informationen zu Theorie und Diagnose für Therapeutinnen, Lehrerinnen und Eltern. Norderstedt: BOD-Verlag.
ISBN-13: 978-3-8370-9019-2