Nachdem Floriana Costanzo, Deny Menghini und weitere Wissenschaftler aus Rom zeigen konnten, dass durch eine einmalige 20minütige transkranielle Stimulation Kinder mit Legasthenie ihre Lesefehler verringern konnten, untersuchten sie in einer weiteren Studie die Effekte einer mehrmaligen Stimulierung entsprechender Gehirnbereiche über einen längeren Zeitraum. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der Zeitschrift Restorative Neurology and Neuroscience.
Costanzo et al. stimulierten elektrisch den linken parietotemporalen Bereich, der bei Kindern und Jugendlichen mit Legasthenie während der phonologischen Verarbeitung, dem Lesen von Pseudowörtern wie auch beim Lesen normaler Wörter eine Hypoaktivität aufweist.
Die Probandenanzahl war mit insgesamt 20 Schülern mit diagnostizierter Legasthenie relativ klein. Die Teilnehmer waren zwischen 10,1 und 17,1 Jahre alt und wurden auf zwei Bedingungen aufgeteilt. In der ersten Bedingung führten die Probanden zwei Leseübungen durch, die insgesamt 20 Minuten dauerten. In einer Übung sollten die Teilnehmer Wörter auf dem Monitor lesen, die tachistoskopisch präsentiert wurden. Die dabei verwendeten 30 Wörterlisten bestanden aus je 20 Wörtern. Die Präsentationszeit lag zwischen 100 und 500 ms. Wurde eine Liste gut beherrscht, wurde mit der nächsten Liste weitergeübt. Beim Wortmaterial handelte sich um häufig vorkommende Wörter. Durch diese Übung sollte die Le segeschwindigkeit erhöht werden.
In der zweiten Leseübung trainierten die Studienteilnehmer die Laut-Graphem-Korrespondenzen, also die Laut-Buchstabenbeziehungen. So sollte der fehlende Buchstabe eines Wortes gefunden, aus Buchstaben das korrespondierende Wort zu einer Grafik erstellt oder aus Silben Wörter gebildet werden. Diese Übungen sollten die Anzahl der Lesefehler verringern. Die beiden Leseübungen wurden von den Autoren als kognitives Training bezeichnet.
In der ersten Bedingung fand während des kognitiven Trainings für 20 Minuten auf den linken parieto-temporalen Regionen eine transkraniale Stimulierung von 0,04 mA/cm2 statt. In der zweiten Bedingung wurde ebenfalls eine Elektrode angelegt, die elektrische Stimulierung wurde jedoch nur anfangs für 30 Sekunden durchgeführt und dann wieder auf 0 mA abgesenkt. Das kognitive Training wurde wie in der ersten Bedingung realisiert. Sollte die transkraniale Stimulation zu einer Verbesserung des Lesens führen, müssten die Schüler in der Bedingung, in der beide Maßnahmen durchgeführt wurden, insgesamt größere Fortschritte im Lesen zeigen. Die Trainingssitzungen fanden drei Mal pro Woche über einen Zeitraum von sechs Wochen statt.
Mögliche Fortschritte im Lesen wurden durch insgesamt vier Lesetests erfasst, bei denen ein Text, häufige Wörter, seltene Wörter oder Pseudowörter gelesen werden mussten. Die Leseleistungen wurden vor dem Training (T0), nach Beendigung des Trainings (T1) und vier Wochen nach Trainingsende (T2) gemessen.
Costanzo et al. fanden in ihrer Studie zwei statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Trainingsbedingungen. So konnten die Schüler, die neben dem kognitiven Training auch die transkranielle Stimulation erhielten, die Anzahl der Lesefehler bei den seltenen Wörtern im Vergleich zur Kontrollbedingung signifikant verringern. Die Schüler reduzierten ihre Fehler von ursprünglich 2,4 auf 1,8 nach dem Training und verringerten sie zum follow-up-Zeitpunkt weiter auf 1,2. Dies war bei den Schülern in der zweiten Bedingung nicht der Fall. Sie zeigten zu den drei Messzeitpunkten folgende Werte: 1,8; 2,4 und 1,4.
Weiterhin zeigte sich bei den Schülern der ersten Trainingsbedingung eine statistisch signifikante Verbesserung der Lesegeschwindigkeit bei den Pseudowörtern. Hier verringerten die Schüler ihre Lesezeit von ursprünglich 40,6 s auf 25,6 s nach dem Training und auf 24,6s vier Wochen später. Die Schüler der Kontrollgruppe wiesen hier keine statistisch signifikante Verbesserung auf.
Die Wissenschaftler aus Rom zeigten in ihrer Studie, dass sich einzelne Lesekennwerte durch die Stimulierung des linken parieto-temporalen Bereiches verbesserten.
Costanzo, F., Varuzza, C., Rossi, S., Sdoia, S. Varvara, P., Koch, Gl, Vicari, S. & Menghini, D. (2016). Evidence for reading im provement following tDCS treatment in children and adolescents with dyslexia. Restorative Neurology and Neuroscience, 34, 215- 226.