Rezension: Lese- und Rechtschreibförderung für Migrantenkinder von Johannes Mand

Titelbild des Buches Lese-/Rechtschreibförderung für Migrantenkinder

Ein Forschungsschwerpunkt von Professor Dr. Johannes Mand vom Fachbereich  Heilpädagogik der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum stellt die Lese- und Rechtschreibförderung von Kindern dar. Im Jahr 2008 hat er das lesenswerte Buch “Lese- und Rechtschreibförderung in Kita, Schule und in der Therapie” veröffentlicht und in der Vergangenheit schon einige Studien zu diesem Bereich publiziert. Nun hat Mand im Kohlhammer Verlag ein Buch veröffentlicht, dass sich mit den Ursachen, der Diagnostik und der Förderung bzw. Therapie von Kindern mit Migrationshintergrund beschäftigt.

Der Titel des 216 Seiten starken Buches lautet “Lese- /Rechtschreibförderung für Migrantenkinder – Grundlagen, Diagnostik, Methoden” und gliedert sich in sieben Kapitel. Im ersten Kapitel, der Einleitung, führt Mand gelungen in die Problematik ein und konfrontiert den Leser mit einigen Zahlen. So haben ein Drittel der Schüler einen Migrationshintergrund und die Hälfte der Schüler, die am Ende ihrer Schulzeit Probleme im Lesen und Schreiben aufwiesen, stammen aus Familien mit Migrationshintergrund.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Entwicklungsmodellen im Lesen und Schreiben von Kindern mit Migrationshintergrund. Ein wichtiger Faktor stellt dabei die Literacy dar, die von Mand ausführlich beschrieben wird. Unter Literacy versteht
man die Vertrautheit mit Büchern und Schriftsprache und das Textverständnis. Weitere mögliche Faktoren, die sich positiv auf die das Lesen und Schreiben auswirken, sind Wortschatz und soziale Faktoren. Alle Punkte werden sehr genau diskutiert und dargestellt. Mand arbeitet heraus, dass insbesondere die sozialen Faktoren den Grad der Literacy und damit auch die Lese- und Rechtschreibfertigkeit bestimmen.

Weiterhin wird auf die sogenannte Interdependenz-Hypothese (Schwellenhypothese) eingegangen. Hier geht man davon aus, dass sich geringe Fertigkeiten in der ersten Sprache (z.B. türkisch) negativ auf die zweite Sprache (deutsch) auswirken und
gute Fertigkeiten in der ersten Sprache zu besseren Leistungen im Lesen und Schreiben in der zweiten Sprache führen. Aufgrund dessen entwickelten sich an Schulen zahlreiche bilinguale Konzepte. Die Kinder mit Migrationshintergrund erhielten also eine Förderung in der ersten Sprache, um so das Lesen und Schreiben in der zweiten Sprache zu verbessern. Ob diese Förderung effektiv ist, wird ausführlich dargestellt. Insgesamt fasst Mand den aktuellen Forschungsstand zu dieser Thematik gut lesbar zusammen. Weiterhin bemüht sich der Autor auf möglichst aktuelle Studien zurückzugreifen. Die Studien, auf die sich Mand bezieht, werden dann vergleichsweise genau dargestellt. Weiterhin ist es dem Autor wichtig, nur auf Studien zurückzugreifen, die vernünftig geplant wurden. Nebenbei bekommt man so auch zahlreiche Hinweise, wie Studien konzipiert
sein müssen, damit man durch diese belastbare Daten erhält. Insgesamt ein interessantes Kapitel.

Kapitel drei ist mit “Diagnostische Instrumente in der Arbeit mit Migrantenkindern” beschrieben. Und ab hier wird es jetzt besonders interessant, denn Mand kritisiert einige Punkte der aktuell vorhandenen Testmaterialien. Oftmals gibt es nämlich keine eigenen Normen für Kinder mit Migrationshintergrund, nämlich einfach aus dem Grund – so Mand – da die Erstellung der entsprechenden Normen zu viel Geld koste. Weitere Kritikpunkte werden aufgelistet und fordern den Leser dazu auf, hinsichtlich der Anwendung von Tests kritisch zu sein und sich nicht nur auf die oft kurzen Informationen der Verlage zu verlassen.

Weiterhin wird auf Intelligenztestmessungen bei Kindern mit Migrationshintergrund eingegangen und auch für diese Schüler fordert der Autor eigene Normen. Die oft schlechter ausfallenden Intelligenztests bei Kindern mit Migrationshintergrund führt Mand u.a. auf soziale Faktoren zurück. Besonders relevant werden die niedrigeren IQ-Tests jedoch im Zusammenhang mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben, denn in diesem Fall werden die Kinder häufig auf Förderschulen mit der Diagnose Lernbehinderung abgeschoben. Insgesamt gebe es – so der Autor – eine deutliche Überrepräsentation von Kindern mit Migrationshintergrund auf den Förderschulen.

Förderschulen, die es nach Mand in dieser Häufigkeit nur in der BRD gebe, werden von ihm kritisiert, da es hier nicht gelänge die jungen Erwachsenen so auszubilden, dass sie später einen Beruf erlernen könnten. Insgesamt ein sehr lesenswertes Kapitel, das auch eine Bankrotterklärung des Schulsystems darstellt. Weitere Themen im Kapitel drei sind die Intelligenzdiagnostik und die Sprachstandsdiagnostik. Insgesamt ein inhaltlich starkes Kapitel, indem der Autor Position bezieht und einige wichtige Punkte im deutschen Schulsystem kritisiert werden. Das Kapitel ist auch interessant für LRS-Therapeuten, die etwas mehr über Förderschulen erfahren wollen. Sehr gut. Im vierten Kapitel präsentiert Mand die Ergebnisse dreier eigener Studien, nämlich die der Brennpunktstudie, der Förderschulstudie und des Essener Trainings. Bei der Brennpunktstudie wurden (mit dem HSP) die Rechtschreibleistungen von Kindern mit russischem Migrationshintergrund in der ersten und zweiten Klasse erhoben und diese mit den Leistungen von Kindern der selben Schule (und mit vergleichbarem sozialen Hintergrund) in Beziehung gesetzt.

In der Förderschulstudie untersuchte Mand die Rechtschreibentwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund in Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. In der dritten Studie wurde das Essener Training, ein Trainingsprogramm zur Förderung der phonologischen Bewusstheit, bei Vorschulkindern mit Migrationshintergrund angewendet und dieses Training hinsichtlich seiner Effektivität mit dem Würzburger Trainingsprogramm von Küspert und Schneider verglichen. Alle
Ergebnisse werden detailliert beschrieben. Kapitel fünf widmet sich schließlich den Methoden in der Lese und Rechtschreibförderung von Migrantenkindern. Insgesamt sind die Hinweise für die Förderung bzw. Therapie eher allgemein gehalten, aber von Studienergebnissen abgeleitet. So empfiehlt Mand u.a. bei Kindern einen Wortschatztest durchzuführen, die phonologische Bewusstheit zu fördern, die Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln intensiv zu trainieren und zu versuchen, hinsichtlich des Schreibens eine Verbindung zur Lebensrealität zu suchen (z.B. Blogeintrag schreiben, anstatt einen Brief an den besten Freund). Insgesamt sind die Hinweise zur Förderung brauchbar.

Das Buch von Mand ist ein Fachbuch über die Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die ersten Kapitel widmen sich den Ursachen über die häufiger vorkommenden Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben bei diesen Kindern. Das dritte Kapitel kritisiert zu Recht einige Teilaspekte der Testdiagnostik und im fünften Kapitel stehen einige allgemeine Hinweise zur Förderung. Eine dezidierte praxisorientierte Anleitung für die Therapie bzw. Förderung fehlt jedoch. LRS-Therapeuten mit Erfahrung in der Arbeit Migrantenkindern, die sich für den theoretischen Hintergrund hinsichtlich der Ursachen, Diagnostik und Therapie interessieren, erhalten jedoch ein gut aufbereitetes Fachbuch mit brauchbaren Hinweisen für die Praxis.

Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Autoren stellt Mand die Inhalte nicht nur zusammen, sondern bezieht auch eigene Positionen und kritisiert zahlreiche Aspekte im Therapie- und Schulbetrieb. Dies macht das Buch auch zu einer spannenden Lektüre. Lesenswert.

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Quelle:
Johannes Mand (2012). Lese-/Rechtschreibförderung für Migrantenkinder. Stuttgart: Kohlhammer Verlag

ISBN-13: 978-3-17-021908-3.