Rezension: Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb von Büttner et al.

Fachbücher, die sich umfassend mit dem Thema Legasthenie befassen, d.h. über die Symptomatik, Diagnostik, Ätiologie und Therapie informieren, gibt es einige. Nennen kann man hier das Buch „Legasthenie – LRS“ von Klicpera et al. oder die Veröffentlichung „Lese-/Rechtschreibstörung (LRS)“ von Schulte-Körne und Galuschka. Jedes Buch setzt dabei eigene inhaltliche Schwerpunkte. Bei Schulte-Körne und Galuschka sind dies die vielen praktischen Hinweise zur Diagnostik. 

Im Hogrefe Verlag ist nun eine weitere Veröffentlichung zum Thema LRS erschienen. Die Autoren sind Gerhard Büttner, Janin Brandenburg, Anne Fischbach und Marcus Hasselhorn. Der Titel des Buches lautet „Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb“. Prof. Dr. Marcus Hasselhorn dürfte einigen LRS-Therapeuten bekannt sein, da er Herausgeber wesentlicher Schultests z.B. des DRT ist. Weiterhin ist er Direktor des DIPF in Frankfurt. Dr. Anne Fischbach ist ebenfalls Mitarbeiterin des DIPF, Janin Brandenburg ist Professorin an der TU Dortmund und Prof. Gerhard Büttner ist nun Seniorprofessor für Pädagogische Psychologie an der Universität in Frankfurt.

Das Buch „Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb“ ist 180 Seiten stark und gliedert sich in sieben Kapitel, wobei das erste Kapitel aber nur eine zweiseitige Einleitung ist. Die Überschriften der anderen Kapitel lauten: Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten, Ätiologie von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten, Psychische Auffälligkeiten, Diagnostik, Fördermaßnahmen und LRS-Erlasse in den Bundesländern.

Im zweiten Kapitel, das mit „Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten“ überschrieben wurde, wird sehr detailliert auf die Kriterien des ICD-10, ICD-11 und des DSM-5 eingegangen und in einer Tabelle die einzelnen Unterschiede der Klassifikationssysteme herausgearbeitet. Weiterhin werden die aktuellen S3-Leitlinien dargestellt, an denen man sich in der therapeutischen Praxis orientieren kann. Ebenfalls sehr interessant ist das Unterkapitel zu den Prävalenzdaten, die Faktoren herausarbeiten, warum sich die Prävalenzdaten in den einschlägigen Veröffentlichungen unterscheiden. Bemerkenswert sind auch die Ausführungen zur Persistenz, also wie häufig die LRS noch bei Erwachsenen auftritt. Insgesamt ein sehr gelungenes Kapitel.

Das dritte Kapitel befasst sich auf 23 Seiten mit den ätiologischen Faktoren der LRS. Dabei gehen Büttner et al. sehr genau auf die genetischen Ursachen ein und erläutern dabei auch Aspekte der Versuchsplanung und wie die vorhandenen Ergebnisse interpretiert werden müssen. Die neuropsychologischen Faktoren werden ebenfalls sehr detailliert erläutert. Hier finden sich auch zwei Abbildungen, die die wichtigsten sieben Gehirnregionen zeigen, wo sich Veränderungen in der Aktivität finden. Unterkapitel dieses Abschnitts beschäftigen sich mit dem phonologischen Arbeitsgedächtnis, der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit. Es finden sich zahlreiche Studienergebnisse, die kompakt zusammengefasst wurden. Im Vergleich zu anderen Fachbüchern bietet dieses Buch eine sehr gelungene und detaillierte Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse.

Im folgenden vierten Kapitel geht es um psychische Auffälligkeiten bei Legasthenie. Hier gibt es ausführliche Basisinfos über den Diagnoseprozess der psychischen Begleitsymptomatik, die aus einem allgemeinen Diagnostikhandbuch zur Erfassung psychischer Störungen stammen könnten. Etwas theoretisch, aber trotzdem relevant. Es folgt eine tabellarische Aufstellung entsprechender diagnostischer Verfahren.

Das fünfte Kapitel widmet sich schließlich der Diagnostik der Legasthenie. Hier wird der vollständige diagnostische Prozess erläutert, wie er beispielsweise beim Kinder- und Jugendpsychiater stattfindet. Im Vergleich zu anderen Publikationen werden auch mathematische Erklärungen zu einigen testdiagnostischen Aspekten genannt. So wird erläutert, wie man die regressionsanalytische Korrektur zur Bestimmung der IQ-Diskrepanz berechnet, wie man IQ-Werte in T-Werte umrechnet und wie man Konfidenzintervalle bei T-Werten (T-Wert-Bänder) bestimmt.

Das sechste Kapitel stellt verschiedene Fördermaßnahmen vor. Büttner et al. gehen auch auf Präventionsmaßnahmen im Vorschulalter ein und stellen relevante Metaanalysen zu dieser Thematik vor. Das nächste Unterkapitel setzt sich kritisch mit sogenannten basalen kognitiven Funktionstrainingsprogrammen auseinander wo Aspekte der Wahrnehmung und des Gedächtnisses trainiert werden oder eine verbesserte auditive bzw. visuelle Informationsverarbeitung erreicht werden soll. Das Fazit der Autoren lautet, dass auf diesem Weg sich keine Fortschritte erzielen lassen.

Zur Verbesserung der Lesefertigkeit für Grundschulkinder werden ebenfalls die wichtigsten Programme kurz vorgestellt bzw. genannt und deren Effektivität beurteilt. Weiterhin wird auch auf Trainingsprogramme zur Verbesserung des Leseverständnisses eingegangen und die dabei trainierten Kompetenzen vorgestellt.

Für den Bereich der Rechtschreibung finden sich Ausführungen zu den Programmen WorT, zum Marburger Rechtschreibtraining, REMO-2, Morpheus, zum Training von Reuter-Liehr und zum Kieler Lese- und Rechtschreibaufbau.

Im letzten Kapitel des Buches geht es um die verschiedenen LRS-Erlasse der einzelnen Bundesländer. Unterschiede zwischen den Ländern beim Nachteilsausgleich und den Fördermöglichkeiten werden dargestellt, sind jedoch nicht vollständig ausgearbeitet.

Das Buch „Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb“ von Büttner et al. ist eine solide Veröffentlichung, dass das Thema LRS inhaltlich in der Breite gut abdeckt. Im Bereich Therapie beschränkt es sich im Wesentlichen auf deutschsprachige Studien. Neuere therapeutische Ansätze, wie Action-Video-Games oder  transkranielle Stimulation werden nicht genannt. Hervorzuheben sind die sehr guten Kapitel zur psychischen Begleitsymptomatik, zur Ätiologie und zu den Klassifikationssystemen.

Preis und Verfügbarkeit bei Amazon

Gerhard Büttner Janin Brandenburger, Anne Fischbach, Marcus Hasselhorn (2023). Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb. Göttingen: Hogrefe Verlag.
ISBN-13: 978-3-8017-28557