Ätiologie der ADHS

ADHS wird durch genetische Faktoren verursacht, die Störungen im Neurotransmitterstoffwechsel bewirken. Hinzu kommen weitere innere psychische Faktoren sowie Umweltbedingungen, die den Grad der Symptomatik mitbestimmen.

Dopaminmangel an postsynaptischer Membran.

Aktuell geht man von einer Fehlregulation des Dopaminstoffwechsels (dopaminerge Hypofunktion) bei Kindern mit ADHS aus. Dabei zeigt sich eine erhöhte Wiederaufnahme des Dopamins durch die präsynaptische Membran, wodurch im synaptischen Spalt ein Dopaminmangel herrscht. Weiterhin wird eine erniedrigte Sensitivität der Dopamin-Rezeptoren auf der postsynaptischen Membran diskutiert. Dies ist vermutlich die Ursache für die Fehlregulationen bei den fronto-subkortikalen Regelkreisen, die an der Steuerung von Motorik, Aufmerksamkeit und exekutiven Funktionen beteiligt sind (Kontrollfunktionen sind unterdurchschnittlich ausgeprägt).

Der Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin) blockiert die präsynaptische Wiederaufnahme, sodass Dopamin an der postsynaptischen Membran länger zur Verfügung steht.

Kortikale Untererregung

Von Satterfield (1978) stammt die populäre These, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen unter einer kortikalen Untererregung leiden. Von daher sind sie bemüht, durch vermehrte Reizsuche (= Aktivität) ein günstigeres Aktivierungsniveau herzustellen. Das unruhige Verhalten der Kinder stellt also den Versuch dar, sich selbst zu stimulieren. Weiterhin führt nach Satterfield die kortikale Untererregung zu einer unzureichenden Hemmungskontrolle, was das impulsive Verhalten weiter verstärkt.

Kortikale Übererregung

Eine alternative Erklärung ist, dass Kinder mit ADHS aufgabenirrelevante Störreize schlechter ausblenden können. Die wesentlichen Informationen werden also nicht optimal erfasst. Es kommt zu (1) einer Überstimulation, (2) kognitiven Überlastung und (3) einer reduzierte Fähigkeit, die eingehenden handlungsrelevanten Informationen zu verarbeiten.

Weitere Befunde

  • Starke genetische Befunde: Kinder mit ADHS haben ungefähr viermal häufiger Verwandte mit ADHS als gesunde Kinder. So lassen sich ca. 70 der interindividuellen Unterschiede auf genetische Faktoren zurückführen (Martin, Levy, Pieka & Hay, 2006).
  • Befunde zur Bedeutung von Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sind nicht eindeutig. Diskutiert wird der Einfluss hypoxischer Zustände bei der Geburt.
  • Der Zusammenhang zwischen Neurodermitis und ADHS-Symptomatik konnte nicht belegt werden. Eventuell handelt es sich um eine Subgruppe ADHS-Betroffener.
  • Mütterliches Rauchen während der Schwangerschaft steht im Zusammenhang mit dem gehäuften Auftreten bei Kindern mit ADHS.
  • Studien weisen auf eine Entwicklungsverzögerung der elektrischen Hirnreifung um etwa zwei Jahre hin.

Psychische Faktoren

Ungünstige psychosoziale Bedingungen in der Kindheit sind bedeutsam, scheinen jedoch keine primäre Ursache der ADHS zu sein. Sie tragen aber zum Schweregrad und der Stabilität der Symptomatik bei. Folgende Faktoren werden diskutiert:

  • Inkonsequentes Erziehungsverhalten kann die Entstehung externalisierender Störungen begünstigen.
  • Häufig liegt eine gestörte Mutter-Kind-Interaktion vor: Mütter von Kindern mit ADHS loben und unterstützen ihre Kinder weniger in experimentellen Spielsituationen. Auch zeigen die Mütter häufiger ein bestrafendes Verhalten in der Interaktion mit ihrem Kind.
  • Vermutlich spielen bezüglich des Schweregrades der Symptomatik auch motivationale Faktoren beim Kind eine wichtige Rolle.

Anders wäre es nicht erklärbar, wie Kinder mit ADHS bei spezifischen Aktivitäten (z.B. Lernspiele am Computer) gute Leistungen erzielen. Eventuell lassen sich aus diesen Befunden auch Therapiebausteine entwickeln, die auf eine Erhöhung der Motivation des Kindes bei der Bearbeitung geistig anstrengender Aufgaben (z.B. Hausaufgaben) zielen und so zu einer Verbesserung der Symptomatik beitragen könnten.

Modelle zur Ätiologie

Integrative Modelle (Lauth und Schlottke, 2002) zur Manifestation und Aufrechterhaltung des Problemverhaltens gehen von (1) Beeinträchtigungen in den neurobiologischen Grundlagen der Aktivierungsregulation, (2) Einschränkungen in den Selbstkontrollkompetenzen, (3) unzureichende Verhaltenssteuerung, (4) problematische Reaktionen der Umwelt und (5) ungünstige reaktive Verarbeitungen bei Kindern mit ADHS aus.