Lesestufen nach Frith

Das bekannteste Entwicklungsmodel zum Erlernen des Lesens stammt von Uta Frith und wurde 1986 als Artikel mit der Überschrift „A Developmental Framework for Developmental Dyslexia“ in der Zeitschrift Annals of Dyslexia veröffentlicht. Sie beschreibt dort den Leseprozess als Entwicklungsprozess, der sich in drei verschiedene Phasen unterteilen lässt, nämlich in die logographische Phase, die alphabetische Phase und die orthographische Phase.

Während dieses Entwicklungsprozesses ist das kognitive System qualitativen Umstrukturierungen unterworfen (Mayer 2009), das heißt, dass bei einem Kind, welches sich in der alphabetischen Lesephase befindet andere kognitive Funktionen während des Lesens aktiviert sind, als bei einem älteren Kind, was beim Lesen die orthographische Lesestrategie anwendet. Dieser Umstand erklärt, die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse kognitiver Leistungen, die sich bei Kindern in unterschiedlichen Altersgruppen finden. Kognitive Leistungen, die häufig bei Kindern erhoben werden und die unterschiedlichen Leistungen erklären sollen sind beispielsweise die Benennungsgeschwindigkeit oder die phonologische Bewusstheit. Auch die Betrachtung welche Gehirnbereiche während des Lesens aktiv sind, verändert sich je nachdem, auf welcher Entwicklungsphase sich das Kind befindet. Von daher besteht die Gültigkeit von Studienergebnissen immer nur für die die Entwicklungsphase bzw. Altersgruppe in der sich die getestesten Probanden befanden.

Frith (1986) beschrieb drei Phasen, nämlich die logographische Phase, die alphabetische Phase und die orthographische Phase. Mayer weist daraufhin, dass die Entwicklungsmodelle sich auf das Lesen isolierter Wörter beziehen. Beim Lesen von Texten beeinflussen Vorwissen zum Thema und Wissen über Satzbau und die Erwartung, welche Wörter als nächstes folgen, die Leseleistung und damit auch die Stufe, der man die Kinder aufgrund ihres Lesens zuteilt. Dies erklärt auch den häufig anzutreffenden und überraschenden Effekt von besseren Leseleistungen bei Texten im Vergleich zu den häufigeren Stockungen und Lesefehlern bei einzelnen Wörtern.

Logographische Phase

Auf der logographischen Phase identifizieren die Kinder Wörter anhand von hervorstechenden Merkmalen, wie beispielsweise der Wortlänge oder auffälligen Buchstaben (Mayer 2009). Einzelne Buchstaben als Informationsträger spielen keine Rolle. Ehri (1992) fand in einer Studie heraus, dass die Verknüpfung zwischen Wortbild und der Wortbedeutung relativ schwach ist und es bei visuell ähnlichen Wörtern zu Verwechslungen kommt.

Zum „Lesen“ auf der logographemischen Phase gehört auch das Erkennen von Firmenlogos wie zum Beispiel von McDonalds, Esso oder Lego. Die logographemische Lesestrategie spielt im deutschsprachigen Erstleseunterricht keine Rolle, jedoch im englischen Sprachraum, da hier aufgrund der unregelmäßigeren Graphem-Phonem-Korrespondenz Kinder lernen, sich Wörter anhand ihrer visuellen Merkmale einzuprägen (Wimmer, H. & Humer, P. 1990 in Mayer 2007).

Alphabetische Phase

Während der alphabetischen Phase erlernen die Schüler die alphabetische Strategie, d.h. sie erwerben und verstehen das Prinzip der Phonem-Korrespondenz-Regeln und erlernen damit die indirekte Lesestrategie. Klicpera et al. (2017) beschreiben die alphabetische Phase so, dass hier das Wissen um die Zuordnung von Buchstaben und Phonemen systematisch beim Erlesen der Wörter eingesetzt wird. Schneider beschreibt diese Phase als Erwerb der grundlegenden Buchstaben-Laut-Zuordnungsregeln mit anschließender Verwendung.

Kirschhock (2004) unterteilt die alphabetische Strategie weiter, nämlich in eine beginnende alphabetische Strategie, teilweise entfalteten alphabetische Strategie, eine weitgehend entfaltete alphabetische Strategie und eine voll entfaltete alphabetischen Strategie. Bei der beginnenden alphabetischen Strategie kennen die Kinder einzelne Laut-Buchstaben-Beziehungen und erkennen beispielsweise den Anfangsbuchstaben und erraten dann das Wort mit Hilfe des Kontextes. Bei der teilweise entfalteten Strategie werden einzelne Laute eines Wortes synthetisiert und bei der weitgehend entfalteten alphabetischen Strategie ein Wort vollständig synthetisiert. Wird die Strategie sicher angewendet, spricht man von der voll entfalteten alphabetischen Strategie.

Ehri (1992) differenziert zwischen einer rudimentary alphabetic phase, wo sich die Kinder nur an einigen Buchstaben-Laut-Zuordnungen orientieren und damit versuchen, das Wort zu erlesen und der full alphabetic phase, die der vollständigen Anwendung des alphabetischen Prinzips entspricht.

Die phonologische Bewusstheit spielt beim Erlernen der alphabetischen Lesestrategie eine gewisse Rolle, beispielsweise bei der Phonemsynthese. Weiterhin wird die phonologische Bewusstheit während des Erlernens der alphabetischen Lesestrategie immer ausgeprägter. Durch die Auseinandersetzung  mit den Laut-Buchstaben-Beziehungen entwickelt sich eine Bewusstheit für die Phoneme.

Auch das phonologische Arbeitsgedächtnis weist bei der Anwendung der alphabetischen Strategie eine wichtige Rolle auf. Mayer (2010) weist darauf hin, dass, um die Aussprache eines Wortes zu generieren, die bereits gelesenen Buchstaben im Arbeitsgedächtnis zwischengespeichert werden müssen, während die Übrigen noch verarbeitet werden.

Da das Arbeitsgedächtnis stark beansprucht wird und die Lesegeschwindigkeit langsam ist, stellt die alphabetische Lesestrategie für das Lesen auf Satz- und Textebene eine unökonomische Strategie dar,

Orthographische Phase

In der orhtographischen Phase erlernt das Kind die ganzheitliche Verarbeitung größerer Einheiten der Schriftsprache, wie Silben, Morpheme, häufig vorkommende Graphemfolgen und kurzer, häufig vorkommender Wörter, sodass nicht mehr auf die Analyse und Synthese einzelner Buchstaben bzw. Laute zurückgegriffen werden muss (Mayer 2010),

Durch die wiederholte phonologische Rekodierung von Wörtern gelingt es dem Kind, Repräsentationen derselben im Langzeitgedächtnis auszubilden, sodass schließlich einige charakteristische Eigenschaften der Buchstabensequenz ausreichend sind, um die Phonologie und die Bedeutung des vollständigen Wortes zu aktivieren (Mayer 2010). Es bilden sich also Verknüpfungen zwischen Silben, Morphemen, häufig vorkommenden Graphemfolgen, ganzen Wörtern und der entsprechenden Phonologie. Während sich das Kind auf dieser Phase befindet, werden die Verknüpfungen immer zahlreicher bis schließlich eine vollständige Repräsentation der relevanten Buchstabenfolgen aufgebaut wurde.

Nach Heine et al. (2012) speichern die Kinder während der orthographischen Phase Wörter im orthoghraphischen Lexikon ab. Hier werden die orthographischen Informationen von Wörtern abgespeichert und mit den lautlichen Informationen im phonologischen Lexikon verknüpft.

Literatur

Ehri, L.C. (1992). Reconceptualizing the development of sight word reading and ist relationship to recoding. In: Gough, P.B., Ehri, L.C. & Treiman, R. (Eds): Reading Acquisition. Lawrence Erlbaum Associates, Hilsdale, New Jersey, 107-145.
Frith, U. (1986). A developmental framewörk for developmental dyslexia. Annals of Dyslexia, 36, 69-83.
Heine, A., Engel, V., Thaler, V.M., Fussenegger, B., & Jacobs, A.M. (2012). Neuropsychologie von Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Göttingen: Hogrefe-Verlag.
Kirschhock, E.M. (2004). Entwicklung schriftsprachlicher Kompetenzen im Anfangsunterricht. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Mayer, A. (2007). Gezielte Förderung bei Lese- und Rechtschreibstörungen.München: Ernst Reinhardt Verlag.
Mayer, A. (2010). Gezielte Förderung bei Lese- und Rechtschreibstörungen. München: Ernst Reinhardt Verlag.
Mayer A. 2016. Lese-Rechtschreib-störungen (LRS)
Wimmer, H. & Hummer, P. (1990). How german-speaking first graders read and spell: doubts on the importance of the logographic stage. Applied Psycholinguistics, 11, 349-368.