Arbeitsgedächtnis und Legasthenie

1. Das Arbeitsgedächtnis

Einschränkungen im Arbeitsgedächtnis, eine geringere Benennungsgeschwindigkeit und Schwächen bei der phonologischen Bewusstheit sind die drei Komponenten des sogenannten phonologischen Defizits der Legasthenie. Das phonologische Defizit stellt einen wichtigen ätiologischen Faktor der Legasthenie dar. Es ist jedoch nicht so, dass alle Kinder mit LRS Defizite in diesem Bereich aufweisen. So zeigte eine Untersuchung (Gray et al., 2019), dass 24 Prozent dieser Kinder mit LRS über ein gutes Arbeitsgedächtnis verfügen.

Das Arbeitsgedächtnis wiederum besteht aus drei Subsystemen, nämlich der zentralen Exekutive, der phonologische Schleife und der räumlich visuelle Notizblock.

  • Die phonologische Schleife (phonological loop) kann man sich als flüchtigen Informationsspeicher für auditive Inhalte vorstellen, wobei hier die auditiven Inhalte fortwährend wiederholt werden müssen, um sie im Speicher zu behalten. Die phonologische Schleife entspricht dem phonologischen Arbeitsgedächtnis. Die Kapazität des phonologischen Arbeitsdgedächtnisses trifft Aussagen über die Menge der auditiven Einheiten, die gleichzeitig im Arbeitsgedächtnis gehalten werden können.
  • Der räumlich visuelle Notizblock (visuo-spatial sketchpad) speichert kurzfristig visuelles Material. Diese Komponente wird auch als visuell-räumliches Arbeitsgedächnis bezeichnet.
  • Die zentrale Exekutive (central executive) führt Steuer- und Beobachtungsfunktionen diverser kognitiver Prozesse durch und ist z.B. beim Abruf von Langzeitinformationen oder der selektiven Aufmerksamkeitssteuerung beteiligt.

2. Diagnostik

Durch die AGTB 5-12 von Marcus Hasselhorn et al. kann die Arbeitsgedächtniskapazität gemessen werden. Die Arbeitsgedächtnisbatterie für Kinder von 5 bis 12 Jahren erfasst mit Hilfe von 12 Subtests die drei Komponenten nach Baddeley, nämlich das zentral-exekutive, das phonologische und das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis (siehe oben).

3. Studien zu Auffälligkeiten im Arbeitsgedächtnis

Mary Alt (2022) aus den USA hat mit anderen Forschern eine Studie durchgeführt, um mehr über die Unterschiede zwischen den Kindern mit und ohne Legasthenie hinsichtlich des Arbeitsgedächtnisses zu erfahren. An der Studie nahmen 167 Kinder zwischen 6,8 und 9,2 Jahren teil, von denen 82 Kinder eine Legasthenie hatten.

Bei der Auswertung stellten die Forscher bei der zentralen Exekutive deutlich schwächere Leistungen der Kinder mit LRS fest. Sie registrierten hier eine Effektstärke von d= 1,00. Auch beim phonologischen Arbeitsgedächtnis zeigte sich eine deutlich schwächere Kapazität. Hier konnte ein Unterschied in der Effektstärke von d = 0,89 gemessen werden.

4. Therapie

Nun stellt sich die Frage, ob man bei Kindern mit Legasthenie durch entsprechende Trainingsprogramme die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses verbessern kann, um dann Fortschritte im Lesen und Schreiben zu erzielen. Dies wurde in einer Studie von Mähler et al. (2019) untersucht. Leider fanden sie keine positiven Effekte durch ein entsprechendes Trainingsprogramm, sodass man konstatieren muss, dass sich die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses nicht bzw. nur sehr schwer trainieren lässt.

Literatur

Alt, M., Fox, A., Levy, R., Hogan, T.P., Cowan, N. & Gray, S. (2022). Phonological working memory and central executive function differ in children with typical development and dyslexia. Dyslexia, 28, 20-39.

Gray S, Fox AB, Green S, Alt M, Hogan TP, Petscher Y, & Cowan N (2019). Working memory profiles of children with dyslexia, developmental language disorder, or both. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 62, 1839–1857.